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  • Rebecca Gulba

Hinter MCAS und EDS - Unsichtbar, aber ganz real. Lauras langer Weg zu einer Diagnose.

Aktualisiert: 27. Sept. 2020


Laura ist 23 Jahre alt, studiert Biologie und lebt mit ihrem Freund in Bonn. Sie lebt aber auch mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS), einer genetischen Erkrankung mit progredientem Verlauf, die ihre Haut, Bänder und Sehnen überbeweglich macht. Sie kann ihre Gelenke mühelos verbiegen. Was manchmal wie ein besonderes Talent aussieht, kann aber auch zu schweren organischen Schäden führen. Da die Struktur und Produktion von bestimmten Kollagenen gestört ist, sind Lauras Gelenke instabil und luxieren leicht – ihre Herzklappen funktionieren nicht so, wie sie sollten. Beim EDS geht man von einer Häufigkeit von c.a 1:5.000 bis 1:10.000 aus. Überall dort, wo Bindegewebe eine Rolle spielt kann es zu teilweise schweren Problemen kommen. Viele EDS Patienten sind früher oder später auf einen Rollstuhl oder ähnliche Hilfsmittel angewiesen.

EDS tritt oft mit einem Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) zusammen auf, so auch bei Laura. Die genaue Ursache für diesen Zusammenhang ist noch nicht geklärt, es fällt allerdings auf, dass viele EDS Patienten überaktive Mastzellen haben, die durch den kleinsten Umweltreiz getriggert werden. So kommt es zu einer ganzen Bandbreite von Allergien und Unverträglichkeiten, die für die Patienten einen hohen Leidensdruck erzeugen.

Sowohl Ehlers-Danlos-Syndrom, als auch die damit assoziierten

Mastzellaktivierungserkrankungen (für die erst seit 2010 Diagnosekriterien vorliegen) sind unsichtbare Erkrankungen – man sieht sie den Betroffenen nicht an. Erkrankte werden oft sowohl gesellschaftlich, als auch von Ärzten nicht ernst genommen.

So auch Laura- bis zu Ihrer Diagnose vergingen viele Jahre. Man merkt, dass sie sich von vielen Ärzten nicht ernst genommen und gar komplett missverstanden fühlt. Sie ist enttäuscht – und das ist verständlich. So muss es aber nicht sein! Deswegen wollen wir vom Team „Hinter der Diagnose“ nun mehr darüber erfahren, wie es sich mit der Diagnose EDS und vor allem MCAS lebt, und was wir dafür tun können, dass sich Menschen mit diesen Erkrankungen in Zukunft besser vom Gesundheitssystem verstanden fühlen.


Hinter der Diagnose (HDD): „Hallo Laura, danke, dass du uns heute ein bisschen über dich erzählen möchtest. Sag mal, wie heißen deine Diagnosen genau?“

Laura: „Also ich leide an dem Ehlers-Danlos-Syndrom, genauer gesagt dem hypermobilen Typ des EDS. Außerdem habe ich ein monoklonales Mastzellaktivierungssyndrom.“

HDD: „Bei dem Mastzellaktivierungssyndrom gibt es eine gewisse Spannbreite, oder? Hast du auch hier einen bestimmten Typ?“

Laura: „Ja, also die Mastzellaktivierungssyndrome unterscheiden sich von einer Mastozytose, das ist wichtig. Ich erfülle zum Beispiel nur zwei Kriterien für eine Mastozytose, was mich für die Diagnose der monoklonalen Ausprägung qualifiziert. Generell ist es so, dass hier im Unterschied zur Mastozytose nicht zu viele Mastzellen vorliegen, sondern die Mastzellen einfach überaktiv sind. Bei einer Mastozytose liegt außerdem ein Gendefekt vor – bei MCAS sind die Mastzellen auch mutiert, aber halt in einer anderen Ausprägung als bei der Mastozytose. Die monoklonale Form des Mastzellaktivierungssyndroma wird auch dominant vererbt – es ist alles etwas kompliziert.“

HDD: „Wie äußert sich das Mastzellaktivierungssyndrom? Hast du bestimmte Trigger?“

Laura: „Meine Trigger sind vor allemNahrungsmittel. Ich kann nur unter zehn verschiedene Nahrungsmittel zu mir nehmen – Kartoffeln, Reis, Kürbis, Eisbergsalat, Fetakäse und Ziegenjoghurt. Gluten macht bei mir sofort Migräne. Ich benutze nur noch Allergiker Kosmetik, weil ich z.B. Von normalem Shampoo Ausschlag am Kopf bekomme. Ein warmes Bad, Sonnenlicht… es gibt so viel! Und manche Trigger kann man halt nicht vermeiden: Stress, Gerüche, das Wetter… sogar Schmerzmittel oder sogar die Hormonlage, die sich ändert. Das sind wirklich viele Sachen, auf die ich achten muss.“

HDD: „Das hört sich alles sehr belastend an – ich glaube, mir würde das mit dem Essen am schwersten fallen. Wie hast du das das erste Mal bemerkt? Und wie war dein Diagnoseweg?“

Laura: „Ich habe schon im Kindergarten bemerkt, dass ich z.B. Von Schleichfiguren immer Kopfschmerzen bekommen habe. Auch von unserer alten Holztreppe. In der Schule war ich oft krank. Irgendwann hat meine Mutter dann im Internet über MCAS etwas gelesen und sich testen lassen. Sie verträgt nämlich genauso wenig wie ich. Bei ihr war die Diagnose dann gesichert. Daraufhin habe ich auch einen Termin in dem Diagnosezentrum in Bonn gemacht (auf den ich 13 Monate warten musste!) und habe nun seit Februar 2019 die Sicherheit, dass ich auch daran leide.“

HDD: „ Was für Tests wurden in Bonn gemacht? 13 Monate sind wirklich eine extrem lange Zeit.“

Laura: „Also man verbringt drei Tage im Krankenhaus. Währenddessen stattet man der Gerinnungsambulanz einen Besuch ab, bei dem wirklich sehr viel Blut abgenommen wird. Dorrt macht man einen Stautest, mit dem die Mastzellen getriggert werden sollen und misst vorher und hinterher die Tryptasewerte. Außerdem macht man eine Magen- und eine Darmspiegelung, wobei Proben entnommen werden, die dann auf Mutationen untersucht werden.“ HDD: „ Hat sich seit der Diagnose irgendetwas für dich geändert?“

Laura: „Ja, ich war erleichtert. Ich habe mir zwar schon vorher gedacht, dass ich die Krankheit habe, aber wenigstens hatte das Kind jetzt einen Namen.“

HDD: „Du hast ja gesagt, dass deine Mutter auch an MCAS leidet. Wie hast du das in deiner Kindheit mitbekommen? Und wünscht du die eine Familie, da ja sowohl EDS als auch MCAS dominant vererbt werden, oder hast du da eher Bedenken?“

Laura: „Meine Mama hat nie gejammert. Sie ist Krankenschwester und hat sich immer durchgekämpft und mich alleine aufgezogen, obwohl es ihr oft nicht gut ging. Und ja, ich möchte auf jeden Fall Kinder haben, am liebsten einen Jungen und ein Mädchen. Ich lasse mich da von meinen Erkrankungen, auch wenn sie genetisch sind, nicht verunsichern.“

HDD: „ Gab es Situationen beim Arzt, die dir negativ in Erinnerung geblieben sind?“

Laura: „Ja, sehr viele… vor allem vor der Diagnose, als ich mich von vielen verschiedenen Ärzten untersuchen ließ, weil ich wusste, dass etwas nicht stimmt. Eine Rheumatologin meinte z.B. Einmal zu mir, dass ich ja froh sein könne, dass ich nicht krank sei und, dass ich nichts hatte. Nur, weil meine Rheumawerte alle normal waren. Ich finde es auch ehrlich gesagt ziemlich albern, dass man so lange auf eine Diagnose warten muss, nur weil zwei Kriterien für eine Mastozytose fehlen. Man merkt ja, dass etwas nicht stimmt und hat nie Gewissheit.“

HDD: „Ich finde es immer wieder traurig, dass solche Beschwerden nicht ernst genommen werden. Gab es denn auch positive Erfahrungen mit Ärzten? Jemanden, bei dem du das Gefühl hattest, dass er dich versteht?“

Laura: „ Ja, zum Beispiel mein Hausarzt. Für den fahre ich extra nach Dorsten. Er kennt sich zwar nicht so gut mit MCAS oder EDS aus, aber er glaubt mir und gibt mir die Überweisungen, die ich benötige. Als ich den Hausarzt einmal kurz gewechselt hatte hieß es schon nach dem zweiten Besuch, dass man mir meine benötigten Medikamente nicht mehr verschreiben könne, da sie zu teuer seien. Mein Humangenetiker ist auch wirklich toll.“

HDD: „Wie hast du vom Ehlers-Danlos-Syndrom erfahren?“

Laura: „In einer Online-Sebsthilfegruppe habe ich gelesen, dass das oft in Zusammenhang mit MCAS auftritt. Daraufhin habe ich mich beim Humangenetiker testen lassen, weil mir schon früher aufgefallen ist, dass ich sehr beweglich bin.“

HDD: „Was hat das EDS für Auswirkungen bei dir?“

Laura: „Naja, meine Skoliose kommt wahrscheinlich davon. Ich habe eine Patella alta, weswegen ich auch immer eine Bandage trage. Die Patella ist außerdem lateralisiert und schon oft herausgesprungen. Ich habe einen Mitralklappenprolaps und Trikuspidalklappeninsuffizienz, was einfach daher kommt, dass mein Bindegewebe so instabil ist. EDS wird schlimmer, je älter man wird aber im Moment ist das MCAS für mich schlimmer.“

HDD: „Wir haben ja schon ein bisschen über deine Erfahrungen mit Ärzten gesprochen. Fühlst du dich denn sonst verstanden? Vom medizinischen System und gesamtgesellschaftlich?“

Laura: „Eigentlich gar nicht. Vor allem von den Krankenkassen. Ein Arzt meiner Krankenkassen Hotline meinte einmal zu mir, dass ich mir einfach ein paar Cetirizin einpacken solle und dann wäre das ja schon gut. In Bonn gibt es auch z.B. Einen Experten für MCAS, aber ein Ersttermin bei ihm kostet 400 Euro. Das bezahlt meine Krankenkasse natürlich nicht. Gesellschaftlich ist es auch schwierig, weil ich nie mit zum Essen gehen kann, keinen Alkohol vertrage oder andere Dinge. Mein Freund und gute Freunde kennen das aber schon und achten auf mich. Aber wenn ich dann im Laborprakikum mit Hefe arbeiten muss und aufgrund von den Allergien als Einzige im Komplettschutz angezogen bin ist das schon komisch.“

HDD: „Was würdest du dir von Medizinstudierenden wünschen? Was sollen sie mitnehmen und später beibehalten? Gerade von Patienten wie dir, die einen so langen Diagnoseweg haben, können wir nämlich viel lernen.“

Laura: „ Das man sich immer weiter informiert. MCAS wurde z.B. Erst 2007 richtig entdeckt und als Krankheit klassifiziert. Man sollte einfach versuchen, auf dem neuesten Stand zu bleiben. Auch, wenn man eine Krankheit nicht kennt, man kann ja nicht jede seltene Erkrankung kennen, sollte man sich nach dem Patientenbesuch kurz informieren. So hat das z.B. Mein Neurologe gemacht als ich zum ersten mal bei ihm war. Er hat sich schlau gemacht und Medikamente herausgesucht, die ich wahrscheinlich vertrage. Auch, wenn das eher selten verschriebene Medikamente sind. Und ich finde es total wichtig, dass auf den Patienten eingegangen wird – Was bei dem einen funktioniert funktioniert bei dem anderen nämlich vielleicht nicht.“

HDD: „Im Gespräch hattest du mal eine Facebook Selbsthilfegruppe erwähnt. Gibt sie dir Unterstützung?“

Laura: „Die Gruppe ist auf jeden Fall toll. Man hilft sich gegenseitig, bekommt Tipps für Ärzte und und tauscht sich aus. Ich habe z.B. Dort auch jemanden gefunden, der im selben Studio für Aerial Hoop trainiert wie ich. Daraus ist jetzt eine richtige Freundschaft entstanden."

HDD: „ Wir wollen auch den Menschen hinter der Diagnose kennenlernen. Hast du irgendwelche Leidenschaften und Hobbies?“

Laura: „Ich mache unglaublich gerne Aerial Hoop und Aerial Silk – Dabei schwebt man an einem Reifen über dem Boden und macht Luftakrobatik. Außerdem lese ich gerne, v.A. wissenschaftliche Artikel und höre gerne Hörbücher.“

HDD: „Das ist echt beeindruckend, kannst du uns ein bisschen mehr darüber erzählen? Tut dir dieser Sport auch im Bezug auf EDS gut?“

Laura: „Also Aerial Hoop/Silk ist eine Art Tanz – allerdings in der Luft. Man hält sich an einem Reifen und macht im Prinzip Luftakrobatik. Es macht sehr viel Spaß. Ich baue so ein bisschen Muskeln auf und stärke meinen Rücken. Aber manchmal ist es schade, wenn ich für eine Zeit durch meine Krankheit ausfallen muss. Oft können dann die, die das noch nicht so lange machen mehr als ich.“

HDD: „ Das hört sich anstrengend, aber auch sehr spaßig an. Hast du, abgesehen von deinen Hobbies, ein schönstes Erlebnis? Wo du deine Trigger einfach mal komplett vergessen konntest?“

Laura: „Letztes Jahr bin ich mit meinem Freund auf einer Vespa einmal komplett um den Gardasee gefahren. Das war wirklich toll, weil ich einfach mal loslassen konnte und gar nicht an meine Diagnosen denken musste.“

HDD: „Man merkt, dass das eine wunderbare Erinnerung für dich ist. Und zum Schluss: Blickst du optimistisch in die Zukunft?“

Laura: „Ja. Ich mache mir keine Sorgen. Es gibt Leute, die haben Krebs oder andere Krankheiten – denen geht es noch viel schlechter als mir. Auch wenn es manchmal anstrengend ist, bin ich glücklich.“



“Hinter der Diagnose” ist ein neues Projekt von Medizinstudenten der Heinrich Heine Universität Düsseldorf. Wir wollen Menschen mit Handicap oder schweren physischen und psychischen Erkrankungen eine Chance geben gehört zu werden - und währenddessen lernen, was wir alles von ihnen lernen können. Unser Ziel ist es, uns als zukünftige Ärzte und Ärztinnen alle Patienten so gut wie möglich zu behandeln nd zu verstehen - aber dafür ist es wichtig, auch hinter Diagnosekriterien zu blicken und den Menschen an sich zu sehen.

Wenn du auch Interesse an einem Interview hast und uns von deinem Leben mit deiner Diagnose erzählen möchtest, dann schreibe uns einfach eine Mail: hinterderdiagnose@gmx.de


Wenn du als Medizinstudent der HHU an Hinter der Diagnose mitwirken möchtest kannst du uns auch gerne einfach anschreiben!

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